Tastatur-Steuerung zur Startseitedirekt zum Seitenanfangdirekt zum Inhaltdirekt zur Hauptnavigationdirekt zur SekundärnavigationSitemapSuche

Wir verwenden Cookies und Google Analytics, damit wir unsere Internetseite laufend verbessern und Sie bestmöglich mit Informationen versorgen können. Durch die weitere Nutzung der Internetseite erklären Sie sich mit der Verwendung der oben genannten Dienste einverstanden. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Blog von Christine M., taubblind

Christine M. lebt mit Taubblindheit und ist Klientin des SZBLIND. Sie erzählt im neuen SZBLIND-Blog von ihrem Leben in dieser ungewöhnlichen Zeit. Ab sofort berichtet die SZBLIND-Klientin zweimal wöchentlich, was sie in Zeiten der Corona-Krise bewegt. 

ZU-, EIN-, AUSGESCHLOSSEN

Das kleine Ding „Virus“ drängt zur internen Ruhe.

Eigentlich bin ich, als Mensch in Taubblindheit mit kleinem Hör-Rest, alleinlebend, ohne beruflichen Auftrag, für die empfohlene Quarantäne  zur Viren-Bekämpfung vortrainiert. Lebe ich bereits in einer Art Isolation mit geringen Menschenkontakten und Erlebnissen in der Aussenwelt.

Nun wird es noch enger.

Die Türen der Ateliers werden ab sofort für Wochen geschlossen. Das Fertigstellen meiner Filzkugelkette als Frühlingsschönheit muss warten. Auch bin ich von den wöchentlichen Treffen mit Schicksalskollegen, -innen ausgeschlossen. Zu hat auch das Fitnesscenter. Viermonatige Vorfreude auf eine organisierte Ausstellung endete mit der aktuellen Schliessung  des Museums

Dass auch die Begleiterdienste sowohl aller freiwilligen Mitarbeiter, als auch der Kommunikationsassistenten gestoppt sind, nimmt Grossteils Sicherheiten und Freiheiten.

Bei einem klärenden Espresso checke ich mal meine Lebensnotwendigkeiten ab. Ob meine betagte Einkaufs-Fee mir ihren guten Dienst noch schenkt? Unbedingt muss ich in den prachtvollen Frühling hinaus. Zwar durch Stürze in der selbstständigen Mobilität verängstigt, gelingt der erste  Spaziergang. Hingegen bleibt  Freundin Sue dem Bundesrat treuer, als unseren gemeinsamen Waldläufen. Das Risiko der Viren Übertragung siegt auch gegen den wöchentlichen Kontakt mit dem ‘Post-Kumpel’. Fortan verläuft die Post-info via Telefon. Das Milchkäschtli wird zum Austauschzentrum von tröstender Schoggi, Stricknadeln, Äpfeln.

Die Kontaktabnahme geht zu Lasten von Spass und Humor. Training in heller Lebensironie und die Lach-Yoga-CD sind Alternativen. Es scheint alles in gesicherter Ordnung, in dieser Ausser Ordentlichkeit.

HEISSE DRÄHTE
Obwohl ich einen, auf den Keramikboden fallenden Löffel nicht höre, kann ich Sendungen öffentlicher Medien mithilfe meines Hörgeräts und Funkmikrophons grösstenteils verstehen. Sind die Sprecherstimmen mir auch deutlich genug, geniesse ich morgendliche Nachrichten zum Caffè und Abendliche in der Hängematte.
So verfolgte ich die Weltenwanderung des Corona-Virus.
Den Namen „Corona“ verstand ich erst, als ihn mir jemand in taktiler Sprache in meine Hand lormte.
Alarmierend überrascht war ich über die Ansage des Bundesrates zu gesundheitsschützenden Massnahmen. Fortan waren die Nachrichten mit so vielen Neuigkeiten gefüllt, dass ich mir die gehörten Schlagworte nicht immer schlüssig zusammenreimen konnte. Zu dieser Zeit strömten ebenfalls im Übermass Infos von Vereinen, der Gemeinde, etlichen Institutionen via mail und Telefonaten ein. Nette Fürsorge um meine Corona-Sicherheit war auch aus meinem Freundeskreis telefonisch spürbar.
Schnell bin ich in meiner nötigen Hochkonzentration im Schwall akustischer Aufnahmen überfordert. Mittels Anrufbeantworter verschaffte ich mir benötigte Erholungsphasen. Über meine Fingerspitzen auf der Braille-Zeile präsentieren sich stille Nachrichten am Computer. So lese ich nun aus den Schweizer Tageszeitungen Details der Corona-Geschichte.
Die gesammelten Mitteilungen geben mir das Bild einer stillen Aussenwelt, in der Grosseltern Kontakte zu den Enkeln vermissen, die Wirtschaft im ‘Stopp’ fürchtet  und Vögel unverändert frohe Zuversicht singen.

 

VIERENFREIER GEBURTSTAG
nach wie vor bevorzuge ich Feste mit vielen Freundinnen und Freunden, die Taubblindheit bestimmt jedoch ein feierliches tête a tête in ruhiger Umgebung. So zelebriere ich seit Jahren meinen Geburtstag mit einer auserwählten Person in bunter Leichtigkeit.
«Heuer wirst du wohl alleine mit dir zuhause feiern müssen.», zähmt ein Kollege meine Idee. Den Verordnungen des Bundesrates, Begegnungen zu vermeiden und den Abstand von zwei Metern einzuhalten, bewusst, ist mir auch klar, dass ein allein verschmachtender Ehrentag in dunkler Blindheit ungesund ist. Nach bestem Wissen und Gewissen vereinbare ich Vieren-Schutz mit Geburi-Glück.
Mit Kuchen spontan Freunde zu besuchen, findet momentan keine Erlaubnis. Auch erwanderte Käse-Knöpfli im Appenzellerischen stossen auf geschlossene Türen. Sogar  Schönheitsprobleme tun sich auf. Der Coiffeur befindet sich in Zwangsferien und meine geburtstägliche Maniküre ist abgesagt. Das verlorene Spiegelbild lindert den Schönheitsstress.
Summa-Summarum beschliesse ich ein vieren freies Z’morge im trauten Heim, dem eine kleine  Exkursion in die nahe Natur folgen soll. Meine Freundin nimmt dieses Programm, nach Kontrolle im Corona-Gewissen, an.
Schade, sind wir Zwei, im Abstand von einen Meter-achtzig am Z’more-Tisch, mit Mundschutz maskiert, auf keinem Foto verewigt. Den Waldlauf begehen wir hintereinander, in Verbindung eines Begleiter-Gestells.
Auch wenn der Corona-Virus mir jede Geburtstagsumarmung klaut, zählt dieser zu den Eindrücklichsten.

 

SONDERBARE BEGEGNUNGEN
Im Vollgenuss von Sonne und Vogelgesang erschrecke ich körperschüttelnd durch ein ungewöhnliches Klopfen an meinem Blindenstock. «Guten Morgen, sagt dir der Richi.», ist die Erklärung dazu eines Kollegen. Mit seinem Gehstock kreiert er eine taubblindengerechte Grussvariation in vieren geschütztem Abstand.
Eine unglücklichere Begegnung ergibt sich, während ich meinen Briefkasten leere. Ich höre eine Frauenstimme. Wohl durch die gesunderhaltende empfohlene Entfernung erkenne ich weder die Person, noch verstehe ich ihre leisen Worte. Mehrmals bitte ich sie um Wiederholungen. Wahrscheinlich nervenstrapaziert tätschelt sie mir zum Abschied doch auf die Schulter. Zu schade, in dieser kontaktarmen Zeit Menschen durch meine anspruchsvolle Gesprächsverbindung zu verscheuchen!! In Begegnungen ohne Handkontakt, ist mir das Gegenüber einem Phantom gleich.
Ich benötige Strick-Hilfe. Um vieren-diskret zu bleiben, meide ich, direkt an die Nachbarstüren zu treten,  fülle stattdessen einen Sack mit dem Strickwerk, einer Belohnungsschoggi und desinfizierten Handschuhen und hänge ihn an das Info-Brett.
Auf meinem Rundweg herrscht reger Spazierbetrieb. Wie viele, der von mir erwiderten, ‘Grüezi’, wirklich an mich gerichtet sind, bleibt unerforscht. Ganz sichergelten die drei Nachfragen, ‘Brauchen sie Hilfe?’, mir. In diesem schönen Getümmel kommt plötzlich mein Blindenstock in die Schwebe. Des Zaubers Ursache ist eine nette Frau, die mich um Bodenlöcher leiten wollte.
Meine Hoffnung glaubt an die Wiederkehr persönlicheren Begegnungen.

 

LANGE WEILE

Ohne Termine werden die selbst zu gestaltenden Tage lange, doch keinesfalls langweilig. Meine Musse finde ich nicht im Nichtstun. Hingegen schätze ich die vermehrten Zwischenzeiten des Müssiggangs. Genügend Tun verbirgt sich in meiner Wohnung. Allein der Kontakt zu Freunden via E-Mail, das hören der Nachrichten oder Tagebuch führen am Computer, sowie homesport auf dem Crosstrainer oder mit dem Terraband, füllen Stunden. Vom Handarbeiten nahm ich Abstand, da Missgeschicke ohne Helferkontakte auf die Dauer misslichen Einfluss auf die Laune nehmen. Schön empfinde ich neue Zeitnieschen für zurückgesteckte Wünsche. So übe ich gerade meine blinde Handschrift in Briefen. Und die Garderoben-Hölzer warten schon lange auf den Feinschliff. Favorit ist derzeitig das Erproben neuer Koch- und Backrezepte. Auffallend ist die täglich ausbleibende Zeit fürs Ordnung-Schaffen in meinen Kästen und Schubladen.
Die freie Wahl der Tätigkeiten erscheint anfangs des Tages als Vorzug, entwickelt sich jedoch schnell zum verspannenden Chaos. Demnach versuche ich mich einer milden Art Tagesplanung zu unterziehen. Drei Aktivelemente sind von entspannenden Zwischenphasen umrahmt. Diese geniesse ich zumeist auf dem Balkon im Liegestuhl, den ich nach 6 Versuchstagen schlussendlich doch aufklappen konnte. Ob es Musik-, Buchhören, oder ein Versinken in die schlafende Traumwelt ist – ich geniesse es mit gutem Gewissen. Eingeleitet werden diese Seelen-Harmoniemacher stets mit einem Espresso, ab dem Vierten mit Getreidekaffee. Wird mir das Glück mit mir doch zu einsam, verbinde ich mich in ein Telefontreffen.

 

KÜCHENEXPERIMENT

Mit den ersten Morgenschritten befinde ich mich in der Küche, greife gezielt nach dem Wasserkrug, ziehe ihn nach vorne und erlebe ein glorioses Glasscherbenkonzert. Das grosse Glas stand davor. Küchen sind stets für uns seheingeschränkte Menschen gefährlich. Dennoch ist sie und ihre Komödien mir mein liebster Wirkungsbereich.
Corona-Freitage nütze ich für neue Rezeptproben.
Glutenfreie Mehle verlangt gerade meine Diät, für die ich keine Erfahrung habe. Dazu eine nette freiwillige Mitarbeiterin des SZB angefragt, waren alsbald einige Rezepte im Computer.
Pingelige Küchenordnung hat sich mir nach verzweifelten Suchen und Branddüften aufgedrängt. Gewürze mit Brailleschrift markiert, andere Nahrungsmittel stets am gleichen Platz, wie auch Küchenutensilien, bieten erfolgversprechendere Aktivitäten. Häufig gebraucht und notwendig ist ‘Heidi, die sprechende Küchenwaage.
Während dem klappernden, klirrenden, brausenden, quirlendem Küchen-Rock muss ich  mein Hörgerät ausschalten. So entstehen feine Buchweizen Brötchen und ein Früchtekuchen. Experimentierfreudig fabriziere ich meinen Apfel-Zimtkuchen in der glutenfreien Mehlformel. Er entsprach ganz dem Wetterbericht: Saharastaub.
Es gelüstet mich, mich der vielseitigen  Ayurveda-Kost zu widmen. Drei Töpfe auf der Kochplatte überfordern meine taubblinde Aufsicht, weshalb ich den Kokos-Blumenkohl im Backofen garen lasse, dem dann die Haferäpfel schnell zu folgen haben. Zwölf verschiedene Gewürze, in drei Tassen gemischt, finden zum Glück ihre richtigen Pfannen.
Meine selbstgebackene Kuchen, vorallem Gugelhupfe werden oft zu Geschenken. Während der Corona-Kriese gibt es sie mit dem vermerk:, ‘Vieren tötend gebacken Und mit Handschutz verpackt.’