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Nachgefragt - unsere Expertenrubrik auf facebook

Darf man bei blinden Menschen von 'Sehen' sprechen?

Von Gerd Bingemann

Vorab: Als Mensch mit einer fortschreitenden Hörsehbehinderung fasse ich es nicht als unangebracht oder gar zynisch auf, wenn mir eine nichtbehinderte Person „Auf wiedersehen!“ zuruft.

Meines Erachtens entspricht es dem Inklusionsgedanken, wenn unsereins die gleichen sprachlichen Ausdrucksformen wie unsere sehenden und hörenden Zeitgenossen verwenden. Unter blinden Leuten drücken wir einander mitgebrachte Gegenstände zuweilen sogar mit dem Beisatz „Schau mal!“ in die Hand und bekommen es nach dem abtasten durchaus mit der Bemerkung zurück: „Danke, ich hab’s gesehen.“

In der umgangssprachlichen Verständigung lohnt es sich, zu differenzieren. Im Volksmund bedeutet „Gestern habe ich Tina Turner gesehen.“ weniger, dass ich diese berühmte Sängerin auf der Strasse gesehen hätte sondern vielmehr, dass ich ihr Live-Konzert besucht habe. „Gestern habe ich Tina Turner gehört.“ wiederum meint kaum, dass sie mich angerufen hat. Vielmehr habe ich eine Musikkonserve von ihr gehört, und als früher sehbehinderter  Mann hätte ich mit Lupe und guter Beleuchtung auf dem CD-Cover vielleicht sogar noch mehr von ihrer Erscheinung visuell wahrnehmen können als im Publikum mit vielen Metern Abstand von der Hallenstadiumsbühne.

Schliesslich sehe ich nicht ein, weshalb ich gerade hierfür weniger treffende Ausdrücke wie bspw. verstehen verwenden müsste... ;-)

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Kann man Sehen neu „lernen“, wenn man im Alter immer schlechter sieht?

Von Susanne Trefzer

Bei manchen Menschen werden die Augen im Alter schlechter, aus verschiedenen Gründen. Plötzlich sieht man nicht mehr gut, obwohl der Arzt die bestmögliche Brille verschrieben hat. In der Low Vision-Rehabilitation spricht man davon, dass man das Sehen auf neue Art lernen müsse. Bedeutet das denn, dass man durch den Sehverlust das „richtige“ Sehen verlernt hat? Ganz so ist es natürlich nicht. Eine beschädigte Netzhaut führt dazu, dass man Kleingedrucktes nicht mehr lesen kann, unscharf und wie durch Nebel sieht und Wortteile einfach verschwinden. Vielfach wird dies als „Sehrest“ bezeichnet, eine irreführende Darstellung, denn dieses Sehen ist alles, was vorhanden ist. Man muss an sich selber verstehen lernen, was mit dem Sehvermögen geschehen ist. Wo genau verschwinden die Buchstaben? Wo ist die wahrgenommene Unschärfe grösser, wo vielleicht weniger ausgeprägt? Auf diese Art und Weise kann man lernen, mit dem, was in den Augen noch funktioniert, besser zurecht zu kommen und allenfalls kürzere Texte zu lesen. Auf der anderen Seite kann es sinnvoll sein, sich Informationen über das Gehör zu holen (Hörbücher, Radio etc.), wenn es mit dem Sehen schwierig wird. Bei Haushaltsapparaten leisten tastbare Punkte wertvolle Hilfe.

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Wie kommen blinde Menschen sicher aus einem angehaltenen Zug?

Von Gerd Bingemann


Mein Verhalten als „blinder Passagier“ ;-) richtet sich ganz nach der Ursache, aufgrund derer der Zug angehalten wurde:
Bei einer regelkonformen Einfahrt in einen Bahnhof bin ich vorbereitet und stelle mich in die Reihe der meist wartenden Passagiere. Dabei versuche ich, mit meinem weissen Stock nicht allzu forsch zu ertasten, ob die Person vor mir wohl schon etwas vorgerückt ist – wenn ja, will ich aufgrund einer zu grossen Lücke vor mir die Person hinter mir nicht ungeduldig werden lassen... Höre ich die Geräusche ausserhalb des Zugs, halte ich mich an die entsprechende Innenwand und suche die Haltestange beim Ausstieg. Zuweilen sagt dann ein anderer Passagier: „Jetzt können Sie aussteigen.“ Und ich ertaste bei jedem Schritt mit meinem weissen Stock, ob bereits der Perron kommt und wie gross der zu übersteigende Spalt zum Zug ist – dann hopp und raus!
NB: Vor den grossen Knotenbahnhöfen wird neben der Haltestelle und den Anschlussverbindungen hilfreicherweise auch die Ausstiegsseite angesagt. Wenn nämlich der Platz zwischen den Coupées stark von Reisenden und ihrem Gepäck verstellt ist wie oft ab Flughafen-Kloten, kann ich mich bereits auf der passenden Seite daran vorbeiwinden und die richtige Türe suchen. Diesen Ansageservice hätte ich mir als Alleinreisender in einem leeren Wagon allerdings schon wiederholt auf Nebenlinien gewünscht, wo man noch die Türen auf beiden Seiten öffnen und somit auf der falschen Seite aussteigen konnte...
Hält der Zug zwar nach der Stationsansage, aber doch noch vor der erwarteten Ankunftszeit und regt sich niemand im Abteil, spitze ich meine Ohren besonders: Höre ich vielleicht das Zischen einer sich öffnenden Türe? Dann bin ich offenbar der einzige, welcher aussteigen will – und los! Bleibt es ruhig, frage ich meine Mitreisenden (notfalls einfach laut in den Raum), ob wir nun wirklich im Bahnhof X eingefahren wären. Sitz jemand im gleichen Abteil wie ich, bekomme ich die gewünschte Auskunft oft schon aufgrund meiner fragenden Miene. Und wenn es länger dauert, folgt i.d.R. dann ja zumeist eine klärende Durchsage über die Lautsprecher.
Glücklicherweise musste ich noch nie einen unfallbedingt gestoppten Zug verlassen und kann nur von einer Tunnelrettungsübung berichten, wo ich sitzen bleiben musste und dann von Sanitätspersonal evakuiert wurde. Bei Feuer und Rauchentwicklung würde ich sofort versuchen, mich einer anderen Person „anzuhängen“ und notfalls laut um Hilfe zu rufen, dass mich jemand nach draussen mitnimmt – einfach irgendwie auszusteigen könnte nämlich genauso lebensgefährlich sein, wenn ich auf einem Gleis lande, worauf gerade ein anderer Zug kommt.
NB: Im Rettungsstollen des neuen Gotthardbasistunnels fehlen taktil-visuelle Leitlinien, welche mir den Fluchtweg weisen würden – links und rechts hängen nämlich lauter Technikkästen und Kabel an den Wänden, woran man sich als blinder Flüchtling somit nicht orientieren kann, wenn alle anderen rundherum wild schreiend durcheinander rennen. Zur Wahrnehmung des von den SBB aufgrund internationaler Standards propagierten „Prinzips der Selbstrettung“ würde mir daher die erforderliche Infrastruktur fehlen...

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 "Wie verlieben sich blinde oder taubblinde Menschen?"

Von Gerd Bingemann

So oder ähnlich werde ich immer mal wieder von normalsehenden Zeitgenossen gefragt. Dabei schwingt die Prämisse mit, dass zuerst einmal über Blicke visuell sondiert wird, ob zwei Personen überhaupt miteinander in Kontakt treten wollen oder nicht – oder nur die eine Seite. Weiterhin auf visueller Basis kann sich (oft erst einseitig) eine Verliebtheit einstellen, wenn das Gegenüber als attraktiv, schön etc. empfunden wird. Anschliessend werden über kurz oder lang Strategien erwogen, um mit der entsprechenden Person in Kontakt kommen zu können.

Diese optisch geprägte Phase vor dem eigentlichen Beginn einer Beziehungsaufnahme entfällt bei uns blinden und taubblinden Personen naturgemäss weitgehend – ein eher neutrales Setting wie bei einem Fest oder an einer Bar sind daher weniger günstige Gelegenheiten, damit sich Menschen ohne Seh- und Hörsinn verlieben könnten. Deutlich bessere Gelegenheiten bieten direkte zwischenmenschliche Kontakte, welche aber mit einem anderen Zweck als quasi der „Brautschau“ verbunden sind: Mit fortschreitender Erblindung gerate ich selber in meinem Alltag immer häufiger in Situationen, wo mich jemand anspricht, den/die ich von mir aus nicht hätte aktiv ansprechen können. In diesem Moment bieten für mich die Stimme sowie die Art des Sprechens und Verhaltens Punkte, bei welchen sich Sympathie einstellen kann – mögliche Steigerungen davon wären dann etwa Bewunderung, emotionale Anziehung oder eben Verliebtheit.

Meine Erstkontakte mit anderen Einzelpersonen werden erfreulicherweise oft durch deren Hilfeangebot geprägt. Muss ich mich dabei irgendwohin führen lassen, kommt als nächster Checkpoint für Sympathie/Antipathie ganz natürlich mehr Körperkontakt hinzu, als bei einer Begrüssung durch einen kurzen Händedruck, wie er im westlich-zivilisierten Kontext bei Erstkontakten eher üblich wäre.

Ob und wie es nach ersten Zuneigungsbekundungen hinsichtlich der emotionalen Verliebtheit dann weitergehen kann, spielt sich m.E. grundsätzlich gleich wie bei normal hörenden und sehenden Menschen ab. Eine behindertenbedingte Begleiterscheinung lässt sich bei der Entwicklung einer Beziehung doch beobachten: Trifft man einander bei der regelmässigen Praktizierung eines Hobbies oder Sports, liegt es für beide Seiten oft nahe, dass sich nächstes Mal bei behinderungsbedingten Problemstellen wieder die gleichen Tandems zusammentun, sofern es beim letzten Mal gut geklappt hat. Bisher noch nicht aktiv gewordene Mitglieder jener Kreise können dann noch etwas länger zuschauen und sich an die Anwesenheit einer (taub)blinden Person als vollwertiges Mitglied gewöhnen – fehlt Ansprechperson Nr. 1 einmal, springt dann eher jemand „aus dem zweiten Glied“ ein, woraus sich eine weitere Bekanntschaft entwickeln kann. Nicht selten kommen in solchen Situationen erfahrungsgemäss bald einmal Gespräche auf, welche den üblichen Smalltalk beim kennenlernen übersteigen und ganz natürlich zu tieferen Fragen des Lebens überführen – finden einander dann zwei Menschen interessant, kann es mit der Zeit durchaus zu einer Romance kommen.

Fazit: Als (taub)blinder Mensch kann man sich nicht gezielt Einzelpersonen aus dem allgemeinen Publikum „herauspflücken“. Damit man somit für andere greif- bzw. eben sichtbar wird, muss man sich auf irgendeine Art „unter die Leute“ mischen. Tut man dies mit einer längst bekannten Begleitperson nicht nur im Hinblick auf Hin- und Rückweg sondern auch für den eigentlichen Anlass selbst, vermindert sich das Ansprechpotential für weniger gut oder noch gar nicht bekannte Leute und somit auch das Verlbiebtheitspotential.
Achtung: Helfen Sie nur blinden und taubblinden Menschen, wenn Sie noch nicht liiert sind! :-)

 

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Wie stelle ich mich einer hörsehbehinderten oder taubblinden Person vor?

Von Tina Aeschbach

Diese Frage lässt sich nicht einfach pauschal beantworten. Es kommt darauf an, über welches Hör- und Sehpotential die Person verfügt und welche Kommunikationsform sie anwendet. Das allerwichtigste ist, zuerst die Aufmerksamkeit der Person auf sich zu lenken. Dazu gehen Sie auf die Person zu und sprechen sie an. Wenn sie nicht reagiert, können Sie die Person leicht, aber bestimmt an der Schulter berühren. Danach gestaltet sich die Begrüssung individuell:

  • Wenn die Person gesprochene Sprache versteht, können Sie sich wie gewohnt vorstellen. Sprechen Sie deutlich und etwas langsamer als sonst.
  • Wenn die Person zwar hört, aber zur Verständigung zusätzlich von den Lippen abliest, achten Sie darauf, dass ihr Gesicht gut beleuchtet ist und schauen Sie die Person beim Sprechen an. Auch in diesen Fällen hilft es, wenn Sie etwas langsamer und deutlich sprechen.
  • Wenn die Person gesprochene Sprache über das Gehör nicht versteht, dann wird sie entweder ablesen - wenn sie dazu ausreichend Sehpotential hat - oder die Gebärdensprache sprechen. Beim Ablesen ist es wichtig, dass das Gesicht gut angeleuchtet ist und deutlich, aber nicht übertrieben artikuliert wird. Falls Sie die Gebärdensprache nicht beherrschen und es mit dem Ablesen nicht klappt, dann können Sie schreiben, z.B. auf dem Smartphone / Tablet oder mit dunklem Stift auf helles Papier.
  • Wenn die Person gesprochene Sprache über das Gehör nicht versteht und das Sehpotential zum Ablesen nicht ausreicht, dann kommuniziert sie entweder über das Lormen oder über taktile Gebärdensprache. Solche Personen sind oft mit einer Begleitperson unterwegs. Sie können diese bitten, Sie beim Vorstellen zu unterstützen. Ist keine Begleitperson anwesend, können zur Not auch Grossbuchstaben in die Handfläche der Person geschrieben werden. Schreiben Sie deutlich und passen Sie die Schreibgeschwindigkeit an. Zur Info: Das Lormen ist ein Alphabet, mit dem die Buchstaben in die Hand gestrichen und getippt werden. Es ist einfach und schnell zu lernen.

Das tönt jetzt etwas kompliziert. Ich hoffe, der Mut hat Sie nun nicht verlassen. Versuchen Sie es! Auch Menschen mit Hörsehbehinderung oder Taubblindheit sind gerne mit dabei

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Nachteulen und Lerchen - Wie steuern blinde und sehbehinderte Menschen Ihren Tag-Nacht-Rhythmus?

Von Gerd Bingemann

Die Uhren laufen bereits mehrere Wochen auf Sommerzeit, und auch der Frühling hält sich mittlerweile daran: Schönes Wetter, herrliche Blütendüfte und viele Vogelstimmen erfreuen die Sinne. Hauptsächlich tagsüber, doch auch nachts lassen sich einige Vögel vernehmen – womit wir beim heutigen Blogthema angekommen sind.

Glücklicherweise haben viele stark sehbehinderte und faktisch blinde Menschen wenigstens noch eine gewisse Lichtwahrnehmung, d.h. sie können erkennen, ob es hell oder dunkel ist. Bei mir selbst klappt dies tagsüber nur bedingt, denn beim Ein- und Ausschalten des elektrischen Lichts in meiner Wohnung kann ich den Unterschied oft nur noch bei trübem Wetter feststellen. Ob es aber Tag oder Nacht ist, merke auch ich noch über die Augen. Das ist aus mehreren Gründen von Bedeutung: Persönlich bedeutet es mir ein Stück Lebensqualität. Aber ich reagiere auch rein körperlich darauf, denn auch bei mir wird das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet, wenn es dunkel wird. Dieses zeigt dem Körper an, dass sich die Zeit der natürlichen Ruhe naht – als Folge davon setzen Müdigkeit und dann Schläfrigkeit ein.

Bei geburtsblinden Menschen ohne jegliche Lichtwahrnehmung kann es vorkommen, dass sich der Körper gar nie an diesen via Schlafhormon natürlich gesteuerten Nacht-Tag-Rhythmus einstellen konnte und sie das Problem haben, im Vergleich mit ihrer sozialen Umwelt jeweils zur falschen Zeit munter bzw. müde zu sein. Eine deutsche Selbsthilfegruppe begegnet ihrer „physiologisch bedingten Sozialunverträglichkeit“ mit der Einnahme von künstlichem Melatonin.

Ohne Arzt zu sein, darf abschliessend für uns alle angemerkt werden, dass eine regelmässige Tagesstruktur zu einem guten Tag-Nacht-Rhythmus beiträgt. Meistens kommt man dabei in unserer zivilisierten Gesellschaft um eines der best gehassten Hilfsmittel nicht herum – um den Wecker... Immerhin kann man als blinde Person in einer Beratungsstelle für Sehbehinderte auswählen, ob man sich mittels zeitgeschaltetes Radio, über vibrierende oder via akustische Signale wecken lassen möchte.  Im Online-Shops für Hilfsmittel des SZBLIND finden sich verschiedene für seh- oder hörsehbehinderte Menschen geeignete Wecker: https://szb.abacuscity.ch/de/1~2/Zeit-messen

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"Gehen Sie als Blinde auf Reisen?" - Selbstverständlich ja!

Von Regina Reusser, Mitarbeiterin der Fachstelle Hilfsmittel beim SZBLIND

 

"Gehen Sie als Blinde auf Reisen?", fragt man mich ab und an. Selbstverständlich ja! Wir leben in einem Körper, der seine Umwelt auch mit Hören, Tasten, Schmecken und Riechen erfassen kann, und wenn man sich etwas öffnet, können einem auch ohne Sehsinn geniale Erlebnisse erwarten.

Meine Unterkunft für den Urlaub sollte gut mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar sein, so dass man unabhängig vom fahrbaren Untersatz die Umgebung erkunden kann. Auch möchte ich mich draussen ausgiebig zu Fuss bewegen können, denn so kann ich meine Umwelt am Besten erfassen. Meistens mache ich zusammen mit Freunden Urlaub. Das macht viel mehr Spass, und zudem empfangen mich die meisten Hotels mit einem einzigartigen Sortiment an Barrieren, angefangen beim Formularkrieg während des Eincheckens, der Schlüsselkarte fürs Zimmer bis zum Buffet mit Selbstbedienung, um nur ein paar zu nennen. All dies würde für mich mehr Stress als Erholung bedeuten, wenn ich allein in so einem Hotel einchecken würde.

Dieses Jahr habe ich bereits an einem Sportcamp für Sehbehinderte im Wallis teilgenommen. Im Juni habe ich eine Woche mit drei Freunden in Köln verbracht und ihnen meine Lieblingsstadt zeigen dürfen. Bald steht eine zweiwöchige Etappe unserer Tour zu Fuss nach Köln an. Eine meiner besten Freundinnen und ich haben die Tour im Dezember 2016 am Grab meines Verlobten gestartet, und ich denke, wir werden 2019 oder 2020 ankommen. Bislang haben wir in der kalten Jahreszeit in Ferienwohnungen, Landgasthäusern und Monteurzimmern übernachtet, während wir im Frühjahr und Sommer gezeltet oder auch schon unter freiem Himmel am Rheinufer oder am Strand eines Hafenbeckens geschlafen haben. Die Tour wartet mit spannenden Erlebnissen, aber wir lernen auch sehr viel über uns selbst und können neue positive Energie für den Alltag schöpfen. Dieses wohl grösste Abenteuer meines Lebens halte ich in einem E-Mail-Reiseblog fest. Wer möchte, kann den Blog mit einer E-Mail an senara1@gmx.ch abonnieren und uns so begleiten.

 

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Wie reduzierte visuelle Wahrnehmung den Hör-Sinn schärft

von Gerd Bingemann

Dass blinde und sehbehinderte Menschen angeblich besser hören als sehende Menschen ist ein weit verbreiteter Glaube. Doch stimmt das wirklich? Gerd Bingemann, hörsehbehinderter Mitarbeiter des SZBLIND korrigiert diese Wahrnehmung in seinem aktuellen Expertenblog.

Gesunde Menschen nehmen unsere Umwelt über die fünf Sinne auf, wobei gut vier Fünftel vom Sehsinn eingefangen werden. Entfällt dieser sehr praktische und schnelle Sinn, hat das Gehirn natürlich entsprechend mehr Kapazität frei, um die Reize der verbleibenden Sinne zu verarbeiten. Normalsehende Zeitgenossen überhören zuweilen gewisse Dinge, welche für blinde Leute sogar als auffällig wahrgenommen werden. Grund: Man konzentriert sich automatisch auf den anderen Fernsinn, welcher wie das Sehen weiter reicht, als man berühren, riechen oder schmecken kann - m.a.W. hat man seine "akustischen Antennen" weiter ausgefahren und konzentriert sich bewusst auf das, was es eben zu hören gibt. Berichtet man als blinder Mensch über ein Erlebnis aus dieser Warte, sind sehende Personen oft überrascht und meinen, so etwas noch nie (so) gehört zu haben und dies auch gar nicht zu können. In Wirklichkeit ist es ihnen bisher jedoch nur noch nie aufgefallen.

Zu Beginn der Beziehung mit meiner Ehefrau kam es mehrfach zu ähnlichen Erlebnissen: Hand in Hand achtete sie für uns beide auf den Weg, auf welchen ich mich im Vergleich zum alleine gehen viel weniger konzentrieren musste und daher den Kopf weitgehend frei für andere Eindrücke hatte. Hörte ich etwa einen Vogel besonders originell zwitschern und sprach meine Frau darauf an, hatte sie vor lauter umherschauen und aufpassen überhaupt nichts davon bemerkt und meinte jeweils: "Du wieder mit Deinem fantastischen Gehör!" Standen wir dann still bis zur Wiederholung des Vogelrufs, kam ihr zweiter Standardsatz: "Jetzt, wo du's sagst, höre ich's auch." Es geht also darum, worauf man seinen Fokus richtet - das Gehör war damals bei uns beiden nämlich ungefähr gleich gut. Zudem bekommt wirklich niemand plötzlich ein Supergehör, nachdem er sich eine halbe Stunde lang die Augen verbunden hat - erfahrungsgemäss fallen in so einer künstlichen Blindensituation jedoch Dinge auf, welche im sehenden Zustand keinerlei Beachtung gezollt worden ist.

Im Multimediazeitalter stelle ich fest, dass gesunde Menschen weniger Kondition im ausschliesslich zuhören an den Tag legen: Bei einem etwas längeren Monolog lässt die Aufmerksamkeit des sehenden Gegenübers deutlich rascher nach als früher - wird bei einem Referat keine visuelle Illustration oder gar ein Filmausschnitt eingebaut, droht das Gros der heutigen Zuhörerschaft bald einmal schläfrig zu werden... Man hat mittlerweile Übung darin, relativ viele Informationen gleichzeitig oder in sehr kurzer Zeit zu verarbeiten. Dagegen ist unsereins ohne 3D-Rundblick und schnelle räumliche Orientierung eher linear eingestellt - eines nach dem anderen. Dafür trainieren wir mit der Zeit, wirklich hin- und zuzuhören. Dies bringt einen gewissen Tiefgang mit sich - nur eine Sache auf einmal, dafür richtig. Je besser mit Worten kommuniziert wird, desto mehr haben wir blinden Menschen etwas von einem Gespräch - insbesondere von Beschreibungen, welche bei ungeübten Leuten zwar gut gemeint, manchmal aber absolut nichtssagend und unattraktiv wirkt (zum Beispiel, wenn die Situationsbeschreibung zu langsam ist oder Füllwörter statt echt beschreibender Substantive und Adjektive verwendet werden etc.). Dies wiederum mag sich auch auf unsere eigene Ausdrucksform auswirken, welche weitgehend ohne Gesten und Blicke auskommen und verbal dafür entsprechend mehr hergeben muss. Als ich einmal bei einer Weissweinprobe meine Empfindungen zu den verschiedenen Verkostungen ausgedrückt habe, hat mich der Vertreter freiwillig für eine Rotweinprobe besucht - er fand meine für ihn ungewöhnlichen Ausdrucksformen so spannend, dass er das Vokabular für seine Weine entsprechend erweitern wollte.

Hören ist nicht gleich hören

  1. Beim untersuchenden Hören scannt man mit dem Gehör aktiv die Umgebung ab. Man analysiert und sortiert die Geräusche und Klänge ganz bewusst, ob persönlich interessante Informationen darunter sind, um entsprechend darauf reagieren zu können. Beispiel: Im Strassencafé versuche ich, die Stimme des Kellners herauszuhören und ihm meine Bestellung dann aufzugeben, wenn ich ihn nicht mehr irgendwo in meiner Nachbarschaft, sondern bei meinem tisch wähne.
  2. Beim empfangenden Hören konzentriert man sich hingegen nicht auf die Umgebungsgeräusche, sondern nimmt etwa das Brummen eines Müllautos oder das Rauschen von Wind und Regen erst in einer Gesprächs- oder Arbeitspause wahr - also eher passiv wie ein eingeschaltetes Radio, welches einfach alles empfängt, was auf der gerade eingestellten Frequenz gesendet wird.
  3. Beim räumlichen Hören benötigt man beide Ohren: Hier wird nicht nur die stereofone Wahrnehmung aktiv (links, rechts, mittig mit allen Zwischenabstufungen), die Ohrmuscheln steuern zudem die Orientierung über oben, unten, hinten und vorne bei. Spielerischer Versuch: In einer Tafelrunde schliessen bis auf eine Person alle die Augen und drücken mit dem Finger ein Ohr zu. Die sehend gebliebene Person geht ein wenig um den Tisch und meldet sich aus drei verschiedenen Positionen, und die anderen zeigen unter Angabe einer Distanzschätzung auf die vermutete Position jener Person. Nachdem beide Ohren wieder frei, die Augen aber weiterhin geschlossen bleiben, werden die drei Versuche wiederholt. Nach öffnen der Augen beschreibt die sehende Person, wie stark die Abweichungen zwischen den Richtungsanzeigen auf die monofon und dann stereophon gehörten Stimmenbesitzer war. NB: Ein analoges Experiment wäre das Fangen eines während eines Spiels zugeworfenen Balls: 10x mit einem abgedeckten Auge und 10x mit beiden Augen geöffnet - wie zeigen sich die beiden Fangquoten?

Wil, 10.08.2018/GB

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Der Lupenkauf – schwieriger als man denkt

Arnd Graf-Beilfuss, SZBLIND-Fachstelle Low Vision


Wenn ein vergrösserndes Hilfsmittel beschafft werden soll, sei es für sich selbst, oder für eine angehörige Person, denkt wahrscheinlich die Mehrheit an eine Lupe. Dieses optische Instrument ist seit Generationen als vergrössernd etabliert, Uhrmacher und Briefmarkensammler verwenden es ja schliesslich auch.

Allerdings wird dabei schnell übersehen, dass alle diese Personen- und Berufsgruppen in der Regel normal sehend sind und damit über eine grosse visuelle Reserve verfügen. Sie verwenden Lupen ausschliesslich zur Vergrösserung - und nicht wie sehbehinderte Menschen zur Erschliessung normal grosser Schrift.

Zu allem Ungemach sind Lupen ausgesprochen komplizierte Instrumente, die nur unter sehr spezifischen Bedingungen die auf dem Gehäuse aufgedruckte Vergrösserung sicherstellen – sofern diese überhaupt korrekt angegeben ist. In den meisten anderen Anwendungssituationen weicht die effektive Vergrösserung mehr oder weniger stark – meist in Richtung geringer – ab. Ein gutes Mass Skepsis hinsichtlich der Zahlen auf dem Gehäuse ist jedenfalls berechtigt.

Gleichzeitig wird das überblickbare Sehfeld durch die Lupe immer kleiner. Für die optimale Wahl eines optischen Hilfsmittel und im Besonderen einer Lupe sind Fachkenntnis und eine eingehende Beratung unerlässlich.

Diese leisten jedoch weder der Versandhändler, noch das freundliche Verkaufspersonal in der Drogerie. Hinzu kommt, dass das meist erforderliche Üben des richtigen Handlings unterbleibt. All dies können nur Low Vision Fachpersonen der Beratungsstellen oder auch Spezialisierte Augenoptiker in Low Vision gewährleisten. Dort wird der tatsächliche Vergrösserungsbedarf ermittelt, das am besten geeignete Hilfsmittel evaluiert und der korrekte Gebrauch geübt. Unter Umständen zeigt sich nach der Abklärung, dass „Lupe“ eigentlich nur das Synonym für ein vergrösserndes Hilfsmittel war und letztlich bessere Lösungen für den individuellen Anwendungszweck gefunden wurden.